Kane stürmt, Vardy auf der Bank, Neustädter in der Startelf
Englands Coach Roy Hodgson hatte im Vorfeld ein Luxusproblem im Angriff zu lösen: Mit Premier-League-Torschützenkönig Kane (25 Treffer, Tottenham), Meister-Stürmer Vardy (24 Tore, Leicester), Superstar Rooney (acht Treffer) und Senkrechtstarter Rashford (fünf Tore, beide Manchester United) drängten vier Angreifer in die Startelf. Hodgson entschied sich für Kane in der Spitze sowie Rooney auf der Halbposition im Mittelfeld - Vardy und Rashford mussten zunächst auf der Bank Platz nehmen. Russlands Trainer Leonid Slutskiy bot mit dem erst kurzfristig eingebürgerten Neustädter einen Bundesliga-Legionär auf. Der Mittelfeldmann vom FC Schalke 04 begann auf der Sechs und war damit der einzige Legionär - alle anderen Spieler sind in der russischen Premier Liga aktiv (fünfmal ZSKA Moskau, viermal Zenit St. Petersburg, einmal Krasnodar).
England war von Beginn an die aktivere Mannschaft und probierte, das Geschehen dauerhaft in die gegnerische Hälfte zu verlagern. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wurden auch die Russen mutiger und wagten sich allmählich nach vorne. Das wiederum gab den Three Lions mehr Räume, was zu ersten guten Chancen führte: Lallana scheiterte aus elf Metern an einem Reflex von Torwart Akinfeev (7.), kurz darauf verpasste Kane frei vor dem Tor nur um Haaresbreite (9.) und wenig später köpfte Smalling nach einer Ecke in die Arme des russischen Schlussmanns (12.).
England kommt mit Tempo - Russland fast ohne Akzente
Gruppe B - 1. Spieltag
Von der Sbornaja kamen dagegen nur wenige Akzente. Russland fand kein Durchkommen und setzte vielleicht deshalb immer wieder vergeblich auf lange Bälle. Auffällig vor allem die hohe Fehlpassquote von zwischenzeitlich über 40 Prozent. Die einzig nennenswerte Möglichkeit verbuchte Ignashevich nach einer Ecke, köpfte aber zu zentral auf Keeper Hart. England variierte zwischen einem 4-3-3-System in der Vorwärtsbewegung und einem 4-1-4-1 gegen den Ball. Vor allem nach vorne klappte das Umschaltverhalten gut und es resultierten viele schnelle Vorstöße: Bei einem Angriff schob Lallana aber knapp am linken Pfosten vorbei (22.), Rooney scheiterte aus 16 Metern an Akinfeev (35.).
Bis zum Halbzeitpfiff blieb das Mutterland des Fußballs die aktivere Mannschaft mit mehr Ballbesitz, einer besseren Zweikampfquote und Zug zum Tor. Die russische Verteidigung geriet immer dann ins Wanken, wenn England mit Tempo kam. Allerdings münzten die Briten ihre Feldüberlegenheit nicht in Tore um. Es blieb bei einem 0:0 zur Pause.
Russland wacht auf
Nach dem Seitenwechsel war Russland deutlich aufgeweckter, agierte mutiger, stand höher und störte den gegnerischen Spielaufbau mit punktuellem Pressing. Folglich wurde die Partie ausgeglichener - allerdings neutralisierten sich beide Mannschaften über weite Strecken im Mittelfeld. Eine Ausnahme waren Standardsituationen: Ein Rooney-Freistoß rauschte knapp drüber (55.). Auf der anderen Seite köpfte Dier nach einer Ecke aufs eigene Tor - Hart lenkte die Kugel über die Latte (59.). Dann die folgte erste herausgespielte Möglichkeit der Sbornaja: Smolov schoss nur knapp am rechten Pfosten vorbei (63.).
Diers Freistoß passt genau
Englands Eric Dier (#17) verwandelt einen Freistoß direkt zum 1:0. Getty Images
Damit waren die Torraumszenen in dieser Phase auch schon zusammengefasst. Das Treiben auf dem Rasen wurde immer zäher - bis zur 71. Minute: Rooney hatte bei einem Schuss aus 15 Metern den Torschrei schon auf den Lippen, doch Akinfeev rettete mit einem Monster-Save und lenkte das Geschoss spektakulär noch an die Latte. Das Momentum schlug nun erneut auf die Seite der Three Lions aus. Dier knallte einen 18-Meter-Freistoß fulminant zum 1:0 in den linken Winkel (73.).
Berezutskiy trifft in der Nachspielzeit
Russlands Vasiliy Berezutskiy (l.) jubelt nach seinem Kopfballtreffer in der Nachspielzeit. Getty Images
In der Schlussphase mussten die Russen nun kommen, perlten aber immer wieder an Englands Defensive ab. Wirklichen Druck konnte die Sbornaja nicht aufbauen - trotz der Einwechslungen von Shirokov (77.), Glushakov (80.) und Marmaev (85.) fehlte es an Kreativität und zündenden Ideen. Vielmehr schafften es die Briten immer wieder zu entlasten und setzten punktuelle Kontern. In der Nachspielzeit zauberte Russland dann doch noch einen Angriff aus dem Ärmel: Shchennikov flankte von links in den Strafraum, wo der aufgerückte Innenverteidiger Berezutskiy die Kugel mit einer Kopfball-Bogenlampe im linken Eck versenkte (90.+2). 1:1, der Endstand. Damit kann das Mutterland des Fußballs auch sein neuntes EM-Auftaktspiel nicht gewinnen (0/5/4).
Am Donnerstag (15 Uhr) kommt es ins Lens zum innerbritischen Insel-Duell zwischen England Wales, wobei die Waliser als Tabellenführer in die Partie gehen. Russland trifft bereits am Mittwoch (15 Uhr) in Lille auf die Slowakei.